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Tschernobyl Katastrophe Ablauf – 26-04-1986 Chernobyl

26-04-1986

Die Reaktor-Katastrophe von Tschernobyl im Jahr 1986. Für viele von uns längst Geschichte. Für zigtausende Menschen aber ein Ereignis, mit dessen Folgen sie nach wie vor täglich konfrontiert sind. Und die Menschen, die in dieser Region leben, haben noch mit ganz anderen Problemen zu kämpfen. Vor 20 Jahren, in der Nacht vom 25. zum 26. April 1986 um 1 Uhr 23 Minuten und 40 Sekunden, ging ein Stück der Welt verloren, als der Reaktorblock IV des russischen Atomkraftwerks Tschernobyl explodierte.

Bei der Explosion eruptierte radioaktives Material mit der Masse von vermutlich 380 Hiroshima-Bomben. Bis zu 11.000 Meter hoch in die Atmosphäre des östlichen Europas eine lautmalerisch verniedlichend »Wolke« genannte Zusammenballung hoch radioaktiver Nukliden wurde in nordwestlicher Richtung über die baltischen Staaten getragen. So entstand das so genannte Tschernobyl-AIDS. Das, was passierte, Katastrophe zu nennen, wäre keine Lüge, aber auch nicht die ganze Wahrheit. Über 600.000 von Liquidatoren waren im Einsatz, um »die Zone«, wie das verseuchte Gebiet heute noch heißt, großflächig zu räumen.

Durch den Reaktorunfall von Tschernobyl wurde in der ehemaligen Sowjetunion ein Gebiet von rund 150.000 km2 radioaktiv verseucht, eine Fläche mehr als dreimal so groß wie die Schweiz. 400.000 Menschen wurden evakuiert. Hunde, Katzen und Kühe erschossen. Insgesamt wurde eine Fläche von 4.300 km2 zur Sperrzone erklärt, die nur mit Sondergenehmigung betreten werden darf. Seitdem existiert diese umzäunte Sperrzone in einem 30-Kilometer-Radius um die evakuierten Städte Pripjat und Tschernobyl: betreten verboten! Damals, im Frühling 1986, haben hier Kinder auf der Straße gemalt. Im Oktober 2005, 20 Jahre danach, hielten sich junge deutsche, russische und weißrussische Künstler in der Sperrzone auf, um ihre ganz eigene Zeichen der Erinnerung und Hoffnung zu setzen – um zu malen und fotografieren. Hinterlassenschaften einer verschwundenen Zivilisation – Plattenbau-Enklave Pripjat.

Die Heimat und Arbeitsplatz für etwa 50.000 Menschen. Einmalige „Geisterstadt“ auf dem Planeten. Mehr als ein Ort. Ein strahlender ORT! Es sind Bilder einer scheinbar ewig währenden Erstarrung und Verkrustung, still, leise, beklemmend. Eine Stadt nach einem Erdbeben schaut verwüsteter aus als die von außen wohnlich scheinenden Ruinen Pripjats, wo der Verfall in Zeitlupe stattfindet. Das Bezwingende dieser Bilder liegt in der unnachahmlichen Genauigkeit und Tiefgründigkeit der Motive – in ihrer nicht auf Pathos beharrenden Ästhetik. Der havarierte Reaktorblock IV in seinem Betonsarkophag, der das ewige Feuer hütet, mit dem man den Menschen zum zweiten Mal aus dem Paradies vertrieben hat.

Ein Baukran, einige regenverwaschene Bauhütten, industrielle Tristesse, proletarische Relikte. Wild wucherndes Grün, das durch den Beton bricht, menschenleere Häuser, menschenleere Straßen. Alles wirkt wie in einem bösartig verhängten Dornröschenschlaf, der schon zu lange dauert, obwohl er nicht einmal richtig begonnen hat. Ihre Wandmalereien fangen Schweigen ein. Das verzweifelte Rufen einer Mutter schweift über die leere Großstadtkulisse des einstigen Tschernobyl. Man sieht die ockerfarbenen Gondeln eines kleinen Riesenrades, das für die Feiern zum 1.Mai 1986 aufgestellt wurde, ein stummer Schrei gellt aus dem kantigen Gesicht eines Mannes, über dem das ehemalige Staatssymbol der Sowjetunion mit Ährenkranz prangt, dicht aneinander gerückte Krankenbetten und Matratzen auf dem Boden für die vielen Verletzten, im Kindergarten zurückgelassene Puppen und Kindergasmasken.

Ein Belag aus Schimmel, Moder über allem. In einem Klassenraum auf der rot verfärbten Tafel steht in kyrillischen Buchstaben: »eine rückkehr gibt es nicht. lebt wohl! pripjat, 28. april 1986«. Geisterstädte. Nirgendwo ein sich bewegender Schatten. Immunschwäche. Ein Drittel der Neugeborenen krank! Draußen auf dem Land, zwischen Birken- und Kieferwäldern, liegen Siedlungen und Dörfer, blühen die Blumen, tragen die Bäume Früchte, stehen schmucke Häuser hinter Gartenzäunen im wuchernden Grün. Hier, an den Ufern der Pripjat Schiffswracks, halb versunken zwischen Seerosenblättern.

Da, wo radioaktiv verseuchtes Militärmaterial verbuddelt wird, bleiverkleidete Tanks, strahlend verrostend. Man kann die Intensität dieser Fotos kaum beschreiben. Sie wirken trügerisch, statisch, lösen beim Betrachter eine Art fiktionaler Paranoia aus, das Empfinden, als hätten wir einen Blick auf die Rückseite der Traumgestade unserer schwarzen Fantasie getan. Zeitgenössische Ikonen aus der Hand junger Künstler, die diesem heute noch verstrahlten Ort ihre ganz eigene Nachdenklichkeit und strahlende Lebendigkeit entgegensetzen.

So verdeutlichen schwarz-weißen Schattenbilder den Schmerz, und die farbigen zeigen Überlebenden, Hoffnung. Hoffnung, die da ankommt, wo sie gebraucht wird – in den Köpfen der Menschen. Den Menschen, die mehr Glück haben und diese Tragödie auf eine andere, künstlerische, dennoch triefst persönliche Art „erleben“ werden, um daraus zu lernen! Strahlende ORTE – ein Requiem der besonderen Art.

Eine atemberaubende Sichtbarmachung des feinen Risses, der zwischen bloßem Anblick und Erkenntnis verläuft. Warnung an die Analphabeten des kollektiven Gewissens. Es gibt Wissenschaftler, die sagen – 20 Jahre nach dem, was wir vielleicht unbedarft Katastrophe nennen –, dass man in 100.000 Jahren wieder in Pripjat leben kann. Vielleicht. … zwanzig Jahre ist es her. Tatsächlich schon 20 Jahre? Erst so lange her? Schon so lange her? Es sind tatsächlich 20 Jahre! 1986-2006 …